Rede von Präsidentin von der Leyen zu europäischen Perspektiven auf dem Bundesdelegiertentag der Frauen Union der CDU Deutschlands
Europäische Perspektiven bei der CDU Frauen Union
Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Annette Widmann-Mauz,
Lieber Friedrich Merz,
Liebe Rita Süßmuth,
Liebe Maria Böhmer,
Liebe Diana Stolz,
Liebe Freundinnen und Freunde,
Danke, dass Ihr mich eingeladen habt, 75 Jahre Frauenunion zu feiern. Als ich geboren wurde, war die Frauenunion 10 Jahre alt. Wir haben also Kindheit, Jugend, Rush-hour des Lebens, Älterwerden, mehr oder minder miteinander verbracht. Und deshalb weiß ich, dass wir einen weiten Weg gekommen sind.
Als ich geboren wurde, musste eine Frau ihren Ehemann um Erlaubnis fragen, wenn sie erwerbstätig sein wollte. Er konnte ihren Arbeitsvertrag kündigen, wenn er meinte, sie würde ihre hausfraulichen Pflichten vernachlässigen. Als ich Abitur machte, stand es noch in den Statuten des DFB, dass es Frauen verboten ist, am Spielbetrieb teilzunehmen. Erst als ich Studentin war, durften Frauen in Deutschland einen eigenen Arbeitsvertrag unterschreiben. Und dann mussten wir darum kämpfen, dass aus dem Recht auf dem Papier auch Wirklichkeit im Alltag wird. Wie soll es denn gehen ohne Kita, ohne Ganztagsschulen und ohne Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Es war dann die Union – Rita Süssmuth – die in den 90ern den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durchgesetzt hat. Es war die Union, die das Elterngeld und die Vatermonate eingeführt hat. Es war die Union, die den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz eingeführt hat.
Liebe Frauenunion, das haben wir gemeinsam geschafft und darauf können wir stolz sein.
Die Erfahrung hat uns alle hier im Saal aber auch gelehrt: Die Gleichstellung der Geschlechter "kommt" nicht einfach so. Jeder Fortschritt muss hart erkämpft werden und geht leicht verloren. Echte Gleichstellung erfordert tägliche Aufmerksamkeit und Engagement. Unsere Vorgängerinnen haben für uns ganze Panzerglas Decken aufgestoßen. Ich bin unendlich dankbar dafür, denn auch mein Weg wäre niemals möglich gewesen, ohne Pionierinnen wie Helene Weber, Luise Rehling und auch Dich, liebe Rita.
Wir erleben ja jeden Tag, dass es in Punkto Gleichstellung noch enorm viel zu tun gibt. Es sollte überall in Europa selbstverständlich sein, als Mutter Karriere machen zu können. Es sollte die Norm sein, dass es den gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt. Und es sollte selbstverständlich sein. Wir alle hier wissen, Fortschritte gibt es. Aber Normalität ist das alles noch lange nicht. Insbesondere beim Anteil der Frauen in Top-Positionen ist noch viel Luft nach oben. In der Wirtschaft, der Wissenschaft, in der Politik. Auch in unserer CDU. Deswegen bleibt es wichtig, dass ihr, die Frauen Union, - auch nach 75 Jahren – immer wieder den Finger in die Wunde legt. Weil das unserer Partei guttut. Und dem ganzen Land.
Denn es ist ja wahr: In diesem Kampf geht es um weit mehr als die Sache der Frauen. Es gibt keine echte Demokratie ohne die Gleichstellung von Mann und Frau, ohne die Freiheit für jede und jeden, zur Schule zu gehen, zu studieren, zu arbeiten, ohne die Freiheit zu heiraten, wen man liebt, ohne die Freiheit sicher zu sein vor Gewalt, und zwar überall, ob zu Hause oder auf der Straße.
Vor zwei Tagen war ich bei einer Preisverleihung in Potsdam, die mir sehr nahe ging. Sie galt den mutigen Frauen und Mädchen des Iran. Sie gehen seit rund einem Jahr auf die Straße. Der auslösend Funke war der Tod einer junge Frau - gerade mal 22 Jahre alt. Sie wurde zum Opfer der iranischen Sittenpolizei. Ihr sogenanntes Verbrechen: Sie hatte nach Meinung der Tugendwächter zu viel Haar gezeigt. Bereits im Polizeiwagen hat man sie verprügelt. Auf der Wache fiel sie ins Koma. Sie ist nie wieder aufgewacht. Aber Millionen Landsleute haben sich an ihrer Stelle erhoben. Die Revolution im Iran wird heute angeführt von Frauen und Mädchen. Sie riskieren Gefängnis, Exil oder gar den Tod. Sie setzen ihre jungen Leben aufs Spiel, weil sie sich eine bessere Zukunft wünschen. Die Ereignisse sind nicht nur ein Wendepunkt für Hunderttausende Frauen und Mädchen im Land. Sie bedeuten einen tiefen Umbruch für diese von Männern dominierte Gesellschaft. Weil es erstmals Frauen sind, die Führung und Verantwortung für die Zukunft des Landes übernehmen. Dieses Signal strahlt über den Iran hinaus.
Ich glaube, dass Gesellschaften, in denen Frauen frei und gleichberechtigt Verantwortung übernehmen, nicht nur gerechtere Gesellschaften sind. Es sind auch bessere Gesellschaften. Erfolgreichere Gesellschaften. Gesellschaften mit mehr Talent, mehr Potenzial, mit mehr Generationengerechtigkeit.
Und all diese Stärken brauchen wir, um die großen Fragen unserer Zeit erfolgreich zu beantworten. Beim Klimaschutz geht es ja um nicht weniger als um die Frage, ob unsere Kinder und Enkelkinder noch auf dieser Erde leben können. Ich frage mich schon manchmal, wie die Natur, das Klima sein wird, 2050 – wenn sie in dem Alter sind, wo man eine Familie gründet. Und ich weiß, dass es von unserem Handeln heute abhängt, ob sie noch einen Frühling, Sommer, Herbst und Winter erleben. Die Wissenschaft schreibt es uns ja ins Stammbuch. Wir und nur wir, können heute die Weichen noch richtig stellen. In engem Zusammenspiel mit unserer Wirtschaft. Unsere Unternehmen sind klasse. Aber sie müssen derzeit ebenso wie ihre globale Konkurrenz gewaltig umbauen, um im Wettbewerb vorne zu bleiben.
Wer am besten digitalisiert und auf saubere Technologien umstellt, hat die Nase vorn. Hier wird global massiv investiert, weil alle wissen, dass die Kreislaufwirtschaft und Clean-Tech die neue Wachstumsstrategien schlechthin sind. Das Rennen ist eröffnet. In Europa, aber genauso in den USA, China, Japan, und im globalen Süden, wo es Sonne und Wind für erneuerbare Energien im Übermaß gibt. Und wenn man sich die Belegschaften anschaut, dann sieht man, dass sich hier derzeit millionenfach Karrierechancen für kluge und tüchtige Frauen auftun. Der alte, schmutzige Energiesektor mit Kohle, Öl und Gas ist traditionell einer der Sektoren mit großem Männerüberhang. Aber bei den neuen sauberen Energien ist die Lage ganz anders. Die europäische Batterieindustrie beispielsweise braucht allein in den kommenden zwei Jahren 800 000 zusätzliche Fachkräfte. Die Solarbranche will bis 2030 eine Million zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Dieser Sektor hat heute bereits mit rund 40 % doppelt so viel Frauen wie die Öl- und Gasbranche. Das ist gut, denn hier entscheidet sich die Zukunft.
Wir reden ja hier nicht nur über Gleichstellung, sondern ebenso über entscheidende Chancen für Wachstum und Wohlstand in Europa. Es geht um das Tempo, mit dem wir auf dem Weg zur Klimaneutralität vorankommen. Wir sind in einer entscheidenden Phase, in der der globale Wettlauf um saubere Technologien Fahrt aufnimmt. Wer die Innovation und die Technologien hat, der hat die Marktführerschaft und die neuen Industrien. Europa ist weltweit führend, bei Patenten für Grünen Wasserstoff, bei der Offshore-Windkraft oder auch bei intelligenten Stromnetzen, die die ganze Welt für eine saubere Energieversorgung braucht. Aber wir müssen uns noch schneller bewegen, mehr anstrengen, besser umsetzen. Und wenn es eine Gruppe gibt, die schneller, besser und umsetzen kann, dann sind das die Frauen.
Wir werden dafür sorgen, dass unsere Kinder und Enkelkinder gesund aufwachsen. Wir werden die Natur bewahren. Wir werden uns auf den neuen Wachstumsmärkten behaupten. Wir Frauen können das - und wir sind bei dieser Generationenaufgabe unverzichtbar.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Wohin Ewiggestriges und Starrheit führen können, konnte man jüngst in Magdeburg beobachten. Da traf sich die Partei mit dem geringsten Frauenanteil im deutschen Bundestag, die AfD. Es ging um das Programm zur anstehenden Europawahl. Da wurden nicht nur in Serie Corona-Sektierer und Klimaleugner gefeiert. Es ging auch um die Pläne der Partei für unser Europa. Ich weiß nicht, wie es Euch ging, aber ich traute meinen Ohren nicht. „Die EU muss sterben“, forderte einer vom ganz rechten Rand. „Teile der EU werden einfach abgeschafft werden müssen“, sekundierte ein anderer. Und ein ursprünglicher Leitantrag sah gar die „geordnete Auflösung der EU“ vor. Einer der Parteichefs erklärte das Motiv: „Wir haben keine wertegeleitete, sondern eine interessengeleitete Politik. Wir stellen uns klar gegen die Sanktionen gegen Russland.“
Liebe Freundinnen und Freunde,
wer solche Reden schwingt, hat nichts begriffen. Deutschland ist heute so frei, wohlhabend und von Freunden umgeben, weil es unser Europa gibt. Der EU-Binnenmarkt macht Deutschland um 132 Milliarden Euro reicher – pro Jahr! Für die jungen Generationen ist Europa ihre Heimat. Sie reisen, sie studieren, sie haben Freundschaften, sie arbeiten und Denken ohne Schlagbaum im Kopf. Sie sehen die Stärke, Freundschaft und Sicherheit, die uns Europa bringt. Das Corona-Virus wurde nicht von nationalistischen Fackelzügen vertrieben, sondern durch beispiellosen Zusammenhalt der Europäerinnen und Europäer.
Dass die größten Wirtschaftsregionen der Erde – Japan, Australien, Südkorea, Indien und natürlich die USA – inzwischen gewaltige Anstrengungen unternehmen, um auf klimaschonende Produktion umzustellen - das ist auch Europa zu verdanken, weil wir entschlossen vorangegangen sind. Wir waren die ersten, die mit dem European Green Deal, dem Fahrplan und den Investitionen Ernst gemacht haben. Und wir haben bewiesen, dass Europa auf saubere Technogien umstellen kann, die Treibhausgase senken und gleichzeitig wachsen kann.
Und es war die Europäische Union, die sofort nach dem brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine klare Kante gezeigt hat. Weil wir wollen, dass Grenzen souveräner Staaten in dieser Welt etwas gelten. Weil wir wollen, dass internationales Recht obsiegt und nicht zynische Gewalt gegen Alte, Frauen und Kinder. Weil wir wollen, dass die Ukraine auch künftig frei von Furcht und Einschüchterung über ihre Zukunft entscheiden kann. Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben sich eindeutig für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entschieden. Sie wollen der Europäischen Union beitreten. Sie kämpfen an der Front. Sie reformieren ihr Land. Sie tun alles dafür, dass ihre Kinder und Enkelkinder nicht im Schatten der Kremlmauern aufwachsen, sondern im Licht der Freiheit, in einer starken Gemeinschaft. Sie träumen den europäischen Traum. Sie kämpfen nicht nur für ihre Freiheit, sie kämpft auch für unsere gemeinsamen Werte. Mit unglaublichem Mut, mit bewundernswerter Tapferkeit, mit unbeugsamem Widerstandswillen. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Und wir werden weiter fest an ihrer Seite stehen, so lange es nötig ist. Und ich weiß, dass hier auch auf unsere Europapartei felsenfest Verlass ist.
Liebe Freundinnen und Freunde,
vor vier Jahren hat der Europäische Rat Christine Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentralbank vorgeschlagen und mich als Kommissionspräsidentin. Beides Premieren für eine Frau in diesen Ämtern. Zu diesem Anlass sagte Donald Tusk, damals als Ratspräsident, einen Satz, der sofort viral ging: „After all: Europe is a woman“. So wie er es sagte, schwang eine gehörige Prise Stolz mit. Stolz auf sein Europa, das wieder mal geliefert hatte. Dieses Mal auf das große Versprechen, eine „Union der gleichen Chancen“ und „Motor der Gleichstellung“ zu sein. Ich glaube, Donald Tusks Instinkt, diesen Moment zu unterstreichen, war richtig. Nicht weil es um Christine Lagarde oder mich ging. Sondern weil in diesem Moment wieder eine dieser schweren Türen aufgestoßen worden war, für deren Öffnung die Frauen Union seit 75 Jahren unermüdlich kämpft. Das sind Türen, die offen bleiben.
Ich möchte an dieser Stelle einmal sagen, wie dankbar ich Euch allen für diesen Einsatz bin und wie wunderbar es ist, Euch an meiner Seite zu wissen. Die Frauenunion fest an der Seite der Europäischen Union zu wissen.
Danke und lang lebe Europa.
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